Verben sind Tätigkeitswörter, zeigen also, dass etwas passiert. Für einen Satz sind sie von zentraler Bedeutung. Doch wer versucht, das Konzept Verb einem Menschen ohne Grammatikkenntnisse zu erklären, merkt schnell, dass diese Beschreibung für viele Verben gar nicht zutrifft. Wenn wir für einen Text Verben wählen, sollten wir darauf achten, dass sie tatsächlich zeigen, dass und was passiert.
Verben wählen und Verben hinnehmen (müssen)
Es gibt Verben, bei denen gar nichts passiert. Haben und sein sind solche Verben. Paul hat Sommersprossen. Paula ist meine Schwester. Der Baum ist hoch. Es gibt kaum eine Möglichkeit, diese Informationen anders zu geben, und bei keiner dieser Möglichkeiten passiert etwas. Das müssen wir hinnehmen.
Haben, sein und werden können auch als Hilfsverben mit einem anderen Verb auftreten. Sie hat geschossen. Er ist gerannt. Wir werden siegen. Die Leiche wurde gefunden. Die deutsche Grammatik verlangt die Verwendung von bestimmten Hilfsverben. Damit müssen wir leben. Lediglich auf die Häufigkeit der Hilfsverben haben wir Einfluss, beispielsweise durch die Wahl der Zeitform.
Die Modalverben müssen, sollen, wollen, mögen, (möchte_), dürfen, können stehen normalerweise bei einem anderen Verb und zeigen die Haltung der handelnden Person zu diesem Verb an. Er muss das Versteck finden. Sie soll ihn umbringen. Ich will ihr dabei helfen. Ich möchte den Preis gewinnen. Wir dürfen früher nach Hause gehen. Sie können schnell laufen. Hier ist im Einzelfall zu überlegen, ob die Kombination aus Modalverb und Verb notwendig ist oder ob es ein Verb gibt, dass die Situation alleine beschreiben kann.
Selbstverständlich gibt es auch Verben, die einen Zustand beschreiben, aber keine Handlung. Schlafen, stehen, faulenzen können solche Verben sein. Der Wolf schläft. Das Denkmal steht auf dem Marktplatz. Die Kinder faulenzen. Durch die Existenz der Personen tun sie etwas, aber das ist keine wahrnehmbare Aktion. Wenn wir so eine Situation beschreiben, müssen wir hinnehmen, dass da in diesem Moment nicht so viel los ist.
Verben abwählen
Vorab möchte ich klarstellen, dass alle folgenden Hinweise sich auf die Bearbeitung eines Manuskripts beziehen. Was wir beim ersten Entwurf schreiben, ist egal, Hauptsache wir bringen die Wörter und Worte aus unserem Kopf auf Papier oder in eine Datei. Danach beginnt das Umschreiben, Schleifen und Polieren, das aus einem Rohentwurf einen Text, der reif für die Veröffentlichung ist, macht.
Für beginnen, anfangen und aufhören können wir fast immer Verben wählen, die genauer ausdrücken, was passiert. Das Gewitter beginnt. Es beginnt zu regnen. Der Film fängt an. Das Orchester fängt an zu spielen. Das Lied hört auf. Der Sänger hört auf zu singen. Es ist hilfreich, sich diese Situationen vorzustellen und genau zu beschreiben, wie sich das Anfangen oder Aufhören bemerkbar macht.
Unpersönliche Verben haben keine handelnde Person als Subjekt, sondern ein es. Es regnet, es blitzt, es donnert, es ist unheimlich. Auch diese Verben können durch aussagekräftigere ersetzt werden. Aber vielleicht passt gerade das Unpersönliche, Statische, Allgemeingültige dieser Konstruktionen. Der Kontext entscheidet.
Scheinen ist ein Verb, das Unsicherheit ausdrückt. Das Auto schien langsamer zu fahren. Die Farben schienen zu verblassen. Nur wenn die Unsicherheit, ob das Auto wirklich langsamer fuhr oder die Farben tatsächlich verblassten, eine Bedeutung für die Situation hat, kann scheinen verwendet werden. Normalerweise kann das begleitende Verb alleine stehen. Das Auto fuhr langsamer. Die Farben verblassten.
Letztlich liegt es am jeweiligen Text, wie viele dieser Verben passen oder gestrichen werden müssen. Im Zweifel ist das Streichen immer die bessere Wahl. Auf der Suche nach alternativen Verben hilft ein Thesaurus mit Sammlungen ähnlicher Verben. Aber auch hier gilt Vorsicht. Sind die Verben zu ungewöhnlich, lenken sie Leser*innen ab.