Glaubhafte Charaktere lassen Leser Menschen, die sie in ihrer Umgebung erleben, wiedererkennen. Diese Charaktere vereinen in sich gute und schlechte Eigenschaften. Welche Eigenschaften überwiegen, entscheidet der Autor.
Wenn wir an reale Kriminalfälle denken, erschreckt uns die Normalität der Täter. Sie haben jahrelang in ihrer Nachbarschaft gelebt, sind an der Oberfläche banalen Tätigkeiten nachgegangen. Erst die Aufdeckung ihrer Taten entlarvt sie vor ihren Nachbarn als „böse“. Das hören wir immer wieder, wenn die Nachbarn und Kollegen von Serientätern, Amokläufern oder Vergewaltigern in den Medien zu Wort kommen.
Der perfekte „Böse“ schafft es also, auch normale, wenn nicht sogar gute Eigenschaften zu haben und so um die schlechten zu gruppieren, dass diese nicht auffallen. Er ist ein Mischwesen – wie leider jeder von uns angeblich „Normalen“ oder „Guten“.
So durchgehend gut sind auch die glaubhaften Helden und Lichtgestalten nicht. Wie jeder reale Mensch braucht auch ein Held eine Schwäche, eine Lichtgestalt einen Schatten. Entdecken wir keine, werden wir im misstrauisch.
Halten wir diesen Bezug zur Realität nicht durch, fallen unsere Charaktere flach und unglaubwürdig aus.
Aber Vorsicht bei der Wahl der Schwächen unserer „Guten“. Einige Schwächen wurden in den vergangenen Jahrzehnten überstrapaziert. Zu viele Kommissare haben ein katastrophales Verhältnis zu ihren Kindern, zu viele Detektive sind Alkoholiker, zu viele Ermittlerinnen haben, falls es existiert, ein frustrierendes Sexleben. Messies sind auch überdurchschnittlich weit verbreitet und traumatisierende Erfahrungen werden erstaunlicherweise entweder nicht behandelt oder lassen den Charakter in einem emotionalen Chaos zurück, das sie eigentlich arbeitsunfähig machen müsste.
Weder im richtigen Leben noch in einem Buch überzeugen die nur „guten“ oder nur „bösen“ Charaktere. Lassen wir uns also nicht von unserem Genre verleiten, Karikaturen statt Persönlichkeiten zu produzieren.