Vor ein paar Wochen las ich bei Twitter die Frage eines Autors, wie viele Erzähler ein Leser akzeptieren könne. Meiner Meinung nach ist das eine Frage des individuellen Geschmacks eines Lesers. Nur, weil einige möglicherweise mehr als einem Erzählstrang und einer Erzählperspektive nicht folgen können, bedeutet das nicht, dass Leser grundsätzlich mit mehreren Erzählsträngen und Perspektiven überfordert sind. Tatsächlich gibt es einen wichtigen Grund, nicht alle Szenen aus der Sicht der Hauptperson zu schreiben. Dieser Grund ist Glaubwürdigkeit.
Der einzelne Erzähler und seine Glaubwürdigkeit
Erzählen Sie Ihre Geschichte aus der Perspektive einer einzelnen Person, stehen Sie bald vor der Notwendigkeit, diese Person an allen entscheidenden Ereignissen, an allen Katastrophen und Rettungsaktionen teilhaben zu lassen. Gleichzeitig erhält diese eine Person alle wichtigen Informationen, um ein Rätsel zu lösen.
Für die Person, aus deren Perspektive Sie erzählen, ist das Stress. Sie taumelt von einer wichtigen Situation zur nächsten, hört zufällig Geheimnisse und überlebt mehr brenzlige Situationen, als ihr lieb ist. Darunter leidet die Glaubwürdigkeit. Nicht hinter jeder Ecke lauert Gefahr, und wenn Mitmenschen und Mitcharaktere sich auch gerne an halböffentlichen Plätzen über geheime Informationen austauschen, so ist die Wahrscheinlichkeit, alle für das aktuelle Problem notwendigen Informationen durch das Herumlaufen mit weit geöffneten Ohren zu erhalten, extrem gering.
Leser fühlen sich von der unwahrscheinlichen Fülle an Zufällen oft provoziert. Es gibt natürlich Geschichten, in denen der einzelne Erzähler glaubwürdig durch alle Abenteuer kommt. In den meisten Fällen erscheint so eine Handlung überfrachtet.
Der einzelne Erzähler und seine Sympathie
Ein Charakter, der überall ist und alle Informationen aus erster Hand sammelt, erscheint Lesern nicht nur unglaubwürdig, er kann schnell unsympathisch wirken. Die gesamte Aufmerksamkeit richtet sich auf ihn, er weiß alles, übersteht alles, kennt jeden und alle Geheimnisse. Solche Menschen haben es in der realen Welt schwer, in der Fiktion auch.
Für Autoren bedeutet eine einzige Erzählperspektive letztlich viel Arbeit, denn die Hauptperson muss glaubwürdig von Ereignis zu Ereignis geführt werden. Dabei kann auch die Lust an der Geschichte abhandenkommen, was es wiederum erschwert, die Hauptperson sympathisch darzustellen.
Die Vorteile mehrerer Perspektiven
Mehrere Perspektiven und Erzählstränge erlauben eine komplexere Darstellung des Problems und seiner Lösung. Auch kann sich die Spannung für den Leser erhöhen, der stets mehr weiß als die Charaktere und Gefahren voraussehen kann, während die Charaktere ahnungslos in die Fallen ihrer Gegner tappen. Auch für Handlungen, die sich über einen langen Zeitraum erstrecken oder an verschiedenen Handlungsorten spielen, eignen sich mehrere Erzähler.