Als Autoren haben wir eine Macht, die sonst nur göttlichen Wesen gegeben ist: Wir erschaffen Personen und geben ihnen einen Lebenslauf, den ein Übermaß an unerwarteten Wendungen, Gefahren, Missverständnissen und Versöhnungen kennzeichnen. Nebenbei kreieren wir Städte, Länder, sogar ganze Welten, in denen wir unsere Charaktere leben und leiden und manchmal sterben lassen. Auf diese Weise wollen wir unsere Leser unterhalten. Damit uns das gelingt, sollten wir die von uns erschaffenen Charaktere gut kennen. Wie erfahren wir mehr über die Personen, die wir nie persönlich treffen können?
Charaktere kennenlernen: Ein Interview mit einer fiktiven Person
Wenn Autoren einen Charakter erschaffen, sehen sie ihn vor allem in seinen Handlungen. Sie haben zwar Vorstellungen über diesen Charakter, über das, was ihn als Person ausmacht, und über seine Vorgeschichte. In den meisten Fällen formulieren sie diese Vorstellungen nicht aus. Sie schreiben über die Aktionen des Charakters und entdecken im Laufe der Handlung die Vorgeschichte.
Diese Vorgehensweise kann wunderbar funktionieren, wenn der Autor ungehindert auf seine nicht ausformulierten Vorstellungen zurückgreifen kann. Doch hin und wieder kann es vorkommen, dass der Autor sich fragt, warum der Charakter handelt, wie er handelt. Oder der Autor merkt, dass das Handeln des Charakters unglaubwürdig erscheint.
Eine Möglichkeit, solchen Unklarheiten zu begegnen, ist ein Interview. Das Interview hat einen Vorteil gegenüber einem Steckbrief, der auch oft empfohlen wird. In einem Interview kann der Charakter als Person antworten. Und diese Person möchten Autoren gerne kennenlernen.
Fragen an die fiktive Person
Die Fragen an die fiktive Person sind die üblichen Interviewfragen, die sich auch in den Steckbriefen wiederfinden.
Persönliche Fragen
- Name
- Geburtsdatum
- Familie
- Freunde
- Herkunftsland/-stadt
- Schulbildung/Beruf
- Religion und Glaube
- Charakterisierung der Person in Schule, Beruf und in der Familie
- Ein normaler Tag in der Jugend
- Ein normaler Tag in der Gegenwart
- aktuelle private Beziehungen
- aktuelle berufliche Beziehungen
- Zukunftspläne
Fragen nach Kennzeichen
- Rechts- oder Linkshändigkeit
- Aussehen
- Krankheiten
- Allergien
- Behinderungen
- Besonderheiten in der Sprache (Akzent, Lispeln …)
- Bevorzugtes Essen
- Bevorzugte Kleidung
- Bevorzugte Geschäfte
- Gewohnheiten (gut, schlecht)
Autoren können diese Interviews laut sprechen und später ein Transkript anfertigen. Beim lauten Sprechen versetzen sie sich leichter in den Charakter und antworten natürlicher. Es empfiehlt sich, zusätzlich zu dem Transkript eine kurze Zusammenfassung aller Daten anzufertigen.
Risiko Informationsüberschuss
Beim weiteren Schreiben besteht nun die Gefahr, dass Autoren zu viele Informationen aus den Interviews in den Text einfließen lassen. Autoren sollten sich bewusst machen und regelmäßig daran erinnern, dass die Interviews ausschließlich für sie gedacht sind, damit sie einen Charakter besser verstehen.