Schreibratgeber ermahnen uns ständig, dass wir beim Schreiben die Leser wertschätzen sollen. Andererseits lesen wir ebenfalls, dass wir beim Schreiben an uns und unsere Visionen denken sollen. Beiden Ratschlägen gleichermaßen zu folgen erscheint auf den ersten Blick unmöglich. Wie können wir eine Geschichte schreiben, die unsere Ideen ausdrückt und gleichzeitig die Leser ernst nimmt?
Leser wertschätzen – Für wen schreibe ich?
Ich bin überzeugt, dass sich auch Autoren, die in erster Linie für sich schreiben, während des Schreibens oder während des Lesens ihres Texts überlegen, wie der Text bei anderen Menschen ankommt. Der Wunsch anzukommen, vielleicht sogar zu gefallen, ist so groß, dass kaum jemand davor gefeit ist, darüber nachzudenken.
Autoren, die beim Schreiben vor allem an sich und ihre Ideen denken, stellen die Form des Werks in den Vordergrund. Ihnen geht es um Stil und Sprache, um die Gestaltung des Texts. Und sie wissen, dass es Leser gibt, die genau das in einem Buch suchen und genießen wollen.
Die Gefahr ist, dass diese Autoren an Lesern vorbeischreiben, weil ihre Sprache zu kompliziert und der Inhalt zu komplex für den Massengeschmack ist.
Autoren, die mit einer klaren Vorstellung der Personengruppe, für die sie schreiben, an den Text herangehen, sehen sich als eine Art Dienstleister für Leser. Sie wollen einen Text schreiben, der den Erwartungen der Leser hinsichtlich Inhalt, Erzähltempo und Protagonisten entspricht.
Auch hier lauert eine Gefahr: Texte, die darauf ausgerichtet sind zu gefallen, können zu vorhersehbar und zu wenig individuell sein.
Leser wertschätzen – Leser wählen Bücher aktiv aus
Meiner Meinung gerät bei dieser Einteilung der Texte der Leser in den Hintergrund. Leser entscheiden selbst, was sie lesen wollen. Mit ihrer Entscheidung für ein bestimmtes Genre verbinden sie Erwartungen an das Genre – mehr jedoch nicht. Sie hoffen auf ein individuelles Buch, dass sie überrascht und ihnen eine Wahrheit anbieten, von der sie genau wissen, dass es eine erfundene Wahrheit ist. (Genau diese erfundene Wahrheit war in der Vergangenheit ein Kritikpunkt an Romanen. Man fürchtete, leicht beeindruckbare Menschen wie Jugendliche und Frauen könnten einer Lesesucht verfallen und sinnvolle Tätigkeiten vernachlässigen.)
Wenn wir diese eigenverantwortliche Entscheidung der Leser für ein Buch berücksichtigen, gelingt es uns vielleicht, das Dilemma zwischen dem Schreiben für uns und dem Schreiben für andere aufzulösen.