Ich bin nicht mein Buch. Das klingt selbstverständlich, aber Autor*innen zittern meist vor dem Moment, in dem sie ihr Manuskript, an dem sie so lange gearbeitet haben, an die Öffentlichkeit bringen. Diese Öffentlichkeit müssen noch nicht die eigentlichen Leser*innen draußen in der Welt sein. Testleser*innen, Lektor*innen, Agent*innen sind fremde Menschen. Fremde Menschen kennen mich nicht, kennen mein Buch nicht, und werden mein es nicht mögen. Also werden sie mich auch nicht mögen. Die Konsequenz wäre, das Buch nie zu veröffentlichen. Doch der Gedanke bricht Autor*innen das Herz.
Wir sind beide nicht perfekt
Autor*innen haben sich meistens damit abgefunden, dass sie nicht perfekt sind. Sie sehen nicht aus wie Models, sind keine Sportskanonen, wissen nicht, wie sie ihr Handy optimal einrichten und tippen mit zwei Fingern auf der Schreibmaschine. Damit können sie leben. Sie haben sogar Freund*innen.
Aber das Buch muss perfekt sein. Es soll all die persönlichen Schwächen kompensieren. Es soll Ausdruck von Talent, Welt- und Menschenkenntnis, handwerklichem Geschick, Belesenheit, und tausend anderer Dinge sein. Nicht zuletzt soll es verzaubern, begeistern, und auch noch Geld einbringen. Es wurde mit Herzblut und Leidenschaft geschrieben. Es ist ein Baby, ein Hoffnungsträger.
Aber es ist auch das Zentrum aller Sorgen. Denn wenn sein*e Schöpfer*in schon nicht perfekt ist, muss das Buch es sein. Wie kann es das sein, wurde es doch von einem so unperfekten Wesen geschrieben? Und der Kreis der Zweifel dreht sich weiter …
Wir finden beide Freunde
Während Autor*innen normalerweise im Laufe ihres Lebens festgestellt haben, dass sie mit ihren Unzulänglichkeiten leben müssen und trotzdem geliebt werden, haben sie viel höhere Erwartungen an ihr Buch. Da es kompensieren soll, muss es perfekt sein. Gleichzeitig fürchten Autor*innen zu Recht, dass es niemals perfekt sein kann.
Kein Buch kann allen Menschen gefallen. Es kann auch niemals alle Leser*innen begeistern. Irgendjemand wird es auf jeden Fall ablehnen. Aber irgendjemand wird es auch lieben, trotz aller Mängel. Und vielleicht sind es viele irgendjemands.
Damit ihr Buch diesen vielen irgendjemands, die es möglicherweise lieben werden, begegnen kann, muss es hinaus in die Welt. Es bleibt Autor*innen nichts anderes übrig, als ihr Buch von fremden Augen lesen zu lassen.
Das ist ein Wagnis. Es einzugehen und die Folgen zu überleben, macht stark. Vielleicht macht es sogar glücklich, wenn das Buch auf Zustimmung und Begeisterung stößt. Dazu müssen Autor*innen akzeptieren, dass sie und ihr Buch nicht eins sind. Alle Eltern müssen das bei ihren Kindern akzeptieren.