Viele Schreibende kennen das Gefühl, dass sich ihre Charaktere verselbständigen und einfach machen, was sie wollen. Rebellierende Charaktere wehren sich oft gegen eine unflexible Planung, die ihnen und ihrem Menschsein (irgendwie sind sie echte Menschen) widerspricht. Zum Glück gibt es einfache Möglichkeiten, der Rebellion vorzubeugen.
Rebellierende Charaktere und unflexible Planung
Charaktere finden schnell einen Weg, sich von unserer Planung loszureißen, wenn sie merken, dass wir sie nicht ernst genommen haben. Wir kämen nie auf die Idee, unsere realen Freunde mit einer Liste von Adjektiven zu beschreiben, weil wir wissen, dass unsere realen Freunde sich durch ihre Erfahrungen und ihr Verhalten voneinander unterscheiden. Bei unseren Charakteren glauben wir, dass wir sie ausreichend auf ihren Auftritt in unserem Buch vorbereitet haben, indem wir ihnen Eigenschaften verpassen: schön, intelligent, mädchenhaft, raubeinig.
Wir behaupten uns gegenüber, dass wir wissen, was ein Adjektiv in Bezug auf einen bestimmten Charakter bedeutet. Leider täuschen wir uns dabei oft, weil wir erst in einem Kontext sehen, wie ein Charakter tatsächlich handelt. So kann es passieren, dass das Verhalten der Charaktere und überrascht, wenn sie einfach so anders handeln. Selbst wenn wir sofort reagieren, machen sich solche Charaktere immer wieder selbstständig und lassen sich nicht bändigen.
Wenn das passiert, müssen wir einsehen, dass der Fehler bei uns liegt. Wir haben es uns mit unserer Liste Adjektive zu leicht gemacht.
Aufwändiger, aber hilfreicher ist es zu fragen, wie Charaktere sich in konkreten Situationen verhalten würden. Mit einer Situation geben wir ihnen Kontext, sie stoßen auf andere Charaktere und müssen Entscheidungen treffen, die uns helfen zu verstehen. Solche Testszenen brauchen keine Szenen aus dem Buch zu sein. Es genügen ein paar typische Szenen des Alltags und einige außergewöhnliche Szenen.
Unser fehlendes Vorwissen
Damit wir unsere Charaktere in den Testszenen sinnvoll ausprobieren können, ist es wichtig, dass wir viel über sie wissen. Wissen ist schließlich Macht, das gilt besonders für Kreaturen, die wir selbst erschaffen. Jeder Charakter hat daher das Recht auf eine detaillierte Vorgeschichte. Diese Vorgeschichte ist weitgehend für uns, nicht für Leser*innen. Die wollen Charaktere erleben, die menschlich und nachvollziehbar handeln. Solche Charaktere können wir nur erschaffen und glaubhaft handeln lassen, wenn wir wissen, was sie erlebt haben und was sie geprägt hat.
Rebellierende Charaktere führen uns vor Augen, dass wir sie vernachlässigt haben. Leider wird es uns nie gelingen, sie immer so zu planen, dass sie sich nicht losreißen und uns mit ihrem Verhalten überraschen.