Der zweite Entwurf

Entwurf

Ein Buch geht durch viele Entwicklungsphasen. Die erste Phase ist der erste Entwurf des Texts. Wenn diese Rohform des Texts fertiggestellt ist, beginnt die zweite Phase. Darin wird der Text überarbeitet. Das klingt aufwändig und eher langweilig, ist aber für viele Autor*innen eine anstrengende Phase. Und es folgen noch viele … Was ist der Unterschied zwischen dem ersten und dem zweiten Entwurf, und was ist dabei besonders wichtig?

Beim zweiten Entwurf wird es ernst

Der erste Entwurf eines Romans ist alles erlaubt, was hilft, die Worte aus dem Kopf zu holen und in Schriftform zu fassen. Wir dürfen springen, wir dürfen uns mit Formulierungen zweiter Wahl zufriedengeben, wir dürfen Fehler ignorieren. Das ist absolute Freiheit. Aber dann beginnt der lange Weg der Annäherung an die Perfektion. Damit ändert sich die Arbeitsweise von Grund auf.

Bevor die Arbeit am zweiten Entwurf beginnen kann, ist Distanz notwendig. Der frisch geschriebene Text steckt noch in uns. Die Charaktere führen in unseren Köpfen ihr unstetes Leben, die Sprache des Texts liegt auf unserer Zunge. Alle Stärken und Schwächen des eben fertig Geschriebenen sind noch Teil unseres Körpers. Deshalb bezeichnen viele Schreibende, und nicht nur Autorinnen, ein Buch als ein Baby.

Aber wenn wir Perfektion auch nur annähernd erreichen wollen, ist es notwendig, mehrere Schritte zurückzutreten und jedes Wort mit den Augen und dem Verstand von Fremden zu lesen — und zu ändern. Damit treten neben die Kreativität Analyse und handwerkliches Geschick. Der zweite Entwurf bereitet die späteren Entwürfe, in denen mehr Feinarbeit geleistet wird, vor.

Zur Vorbereitung sollten wir den Text ruhen lassen. Zwei Wochen Abstand sind mindestens notwendig, ein Monat ist besser. Wenn dazwischen ein anderes kurzes Projekt geschoben werden kann, vergrößert das die innere Distanz.

Die Arbeit systematisch angehen

Die Überarbeitung eines Texts geschieht auf mehreren Ebenen. Nach meiner Erfahrung ist es besser, die Ebenen separat zu bearbeiten.

  • Rechtschreibung und Grammatik: Fehler und Unklarheiten in diesem Bereich spielen im zweiten Entwurf eine untergeordnete Rolle. Stoßen wir auf Rechtschreibfehler, korrigieren wir sie, immer in dem Wissen, dass durch die Überarbeitung hunderte neuer Fehler entstehen können. Das Gleiche gilt für Grammatikfehler. Im zweiten Entwurf geht es darum, unsere eigenen Verständnisprobleme zu beheben. Wenn wir unsere eigenen Sätze nicht mehr verstehen können, liegt das oft an grundlegenden Formulierungsschwächen. Sprachliche Eleganz wird erst in späteren Entwürfen wichtig.
  • Ordnung: Oft wiederholen sich Ideen, Beschreibungen, Überlegungen. Eine Bestandsaufnahme schafft Klarheit, an welchen Stellen, was bereits aufgetreten ist. Vieles davon kann gestrichen oder zusammengelegt werden. Auch die logische Abfolge von Entwicklungen sollte untersucht und korrigiert werden. Auch hier ergeben sich bereits zahlreiche Textstellen, die gestrichen werden können. Ziel sollte es sein, den Text zu kürzen und zu verschlanken, aber auch ausreichend viele Informationen zu geben. Im Zweifelsfall können farbliche Markierungen Aufgaben für spätere Arbeitsschritte festlegen.

Wichtig ist, immer daran zu denken, dass nicht alle Entscheidungen im zweiten Entwurf getroffen werden müssen. Ein zweiter Entwurf darf voller Kommentare, Warnungen und Fragen für weitere Arbeitsphasen sein. Das Manuskript ist nach dieser ersten Überarbeitung noch lange nicht bereit für fremde Augen. Es ist lediglich vorbereitet, noch gründlicher und noch kritischer gelesen und erneut überarbeitet zu werden.

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