Diesen Hilferuf einer jungen Autorin las ich kürzlich in einem Forum.
Aus der Ferne lässt sich das natürlich nicht beantworten. Sicher ist nur, dass in seiner ersten Version ein Manuskript oft vielversprechend, aber selten gut ist. Der langweilige Vergleich mit einem Diamanten beschreibt die Entwicklung eines Textes vom ersten Entwurf zum druckfertigen Produkt durchaus. In der Rohfassung ist vieles vorhanden, was noch herausgearbeitet werden muss. Daher ist ein kritischer Blick auf die eigene Arbeit unumgänglich, so schmerzhaft der sein mag.
Ist es denn gut?
Diese Frage selbst zu beantworten fällt immer schwer. Je weniger Erfahrung mit dem eigenen Schreiben ein Autor gesammelt hat, desto mehr wird er dazu neigen, das eigene Werk mit den veröffentlichten Büchern anderer Autoren zu vergleichen. Es gibt jedoch gute Gründe, weshalb das eigene Manuskript, zumindest in diesem Stadium, nicht an die Bücher im Bücherregal heranreicht.
Bis ein Buch veröffentlicht wird, ist sehr viel Arbeit hineingeflossen. Die druckreife Version hat möglicherweise nur wenig mit dem ersten Entwurf gemeinsam. Das frisch fertiggestellte Werk ist ein Rohbau. Man kann mit geübtem Auge erkennen, wie das fertige Buch einmal sein wird, aber, um beim Rohbau zu bleiben, es sind unverputzte Wände und offene Leitungen.
Was ein Autor als erstes tun sollte, ist ausfegen: Noch mehrmals durchlesen, Grammtik- und Rechtschreibfehler korrigieren, Umformulieren, vielleicht Teile des Texts streichen, dafür anderen Text hinzufügen.
Dann können die Testleser an Kopien des Manuskripts herangelassen werden. Aber wo findet man Testleser, insbesondere wenn die eigenen Bekannten ausscheiden?
- Das Programm der Volkshochschule durchsehen. Im Kreativbereich gibt es oft Schreibkurse. Wenn es nicht möglich ist, in einen Kurs einzutreten (Während des Semesters preiswerter!), könnte man Kontakt mit der Kursleitung aufnehmen. Die kennt wahrscheinlich aus ihren Kursen Leute, die bereit sind, Manuskripte kostenlos oder gegen ein ganz kleines Honorar zu lesen.
- Literaturportale im Internet bieten oft die Möglichkeit, Texte einzustellen. Ganze Romane vielleicht nicht, aber Auszüge. Wichtig ist jedoch, dass man sich auf dem Portal gut aufgehoben fühlt. Deshalb sollte man zunächst einmal bereits eingestellte Texte lesen und die Kommentare dazu genau studieren. Wenn manche Mitglieder Kritik mit Beleidigung verwechseln und die Moderation nicht reagiert, ist das Forum kein geeigneter Ort. Beispiele: Schreibpodium und Literaturportal Die Gedanken sind Frei. Man muss jedoch immer damit rechnen, dass niemand einen Kommentar abgibt.
- In sozialen Netzwerken gibt es zahlreiche Gruppen, deren Mitglieder sich gegenseitig Texte vorstellen und besprechen.
Wird es denn besser?
Während die Testleser mit dem Manuskript beschäftigt sind, kann die Autorin sich Fragen an ihren Text überlegen und nachlesen, ob der Text diese Fragen beantwortet.
Bei einer Liebesgeschichte könnten das Fragen sein wie:
- Was findet er an ihr attraktiv? (Wie erkennt der Leser das?)
- Warum beachtet sie ihn nicht? (Wie erfährt der Leser ihre Gründe?)
- Merken die anderen Charaktere, was sich zwischen den beiden anbahnt? (Kann der Leser nachvollziehen, dass es niemand oder alle merken?)
Wenn die Testleser ihre Manuskriptkopien zurückgeben, haben sie meistens nur ein paar wenige Stellen markiert und ein Wort dazugeschrieben, da sie selbst nicht mehr lesen können. Es sei denn, es sind Teilnehmer eines Schreibkurses, die lesen anders und markieren mehr. Wenn es möglich ist, sollte man mit jedem Testleser ein Gespräch führen. Viele haben ein relativ klares Bild von dem Gelesenen, trauen sich aber nicht, dies für alle sichtbar in das Manuskript zu schreiben. In Gesprächen wird Lob und Kritik leichter geäußert, es fällt vielen Lesern leichter, die richtigen Worte zu finden und auszudrücken, was sie meinen.
Dieses Lob und besonders die Kritik sollte der Autor einwirken lassen. Nach ein paar Tagen kann er dann das Manuskript hervorholen, und mit der Überarbeitung beginnen. Diese Überarbeitung wird dann noch einmal überarbeitet. Und noch einmal. Aus dem Rohbau entsteht ein erkennbares Haus mit Dach, Fenstern und Türen. Jeder Überarbeitungsschritt verändert etwas.
Bis der erste Entwurf eines Romans einem Verlag vorgelegt werden kann, vergeht Zeit. Viel Zeit. Doch davon sollte sich eine Autorin oder ein Autor nicht entmutigen lassen. Die eigene Arbeit zu kritisieren und zu verändern, verlangt Mut. Doch mit jeder Überarbeitung lernt man. Dieses neue Wissen fließt in den nächsten Arbeitsschritt ein. So reifen Werk und Schöpfer.
Freut mich, dass ich helfen konnte. Viele Grüße.