Nach dem Schreiben, wenn der letzte Satz mit einem Punkt abgeschlossen ist, bleibt oft ein Gefühl der Leere.
Das ist in Ordnung. Wer schreibt, lebt sehr intensiv mit den Charakteren in seinem Kopf. Ist das Manuskript zu Ende geschrieben, endet diese intime Beziehung. Etwas Neues beginnt, aber das basiert weniger auf Gefühlen. Was nun bevorsteht, ist eine Arbeitsbeziehung.
Ehe man sich dieser veränderten Beziehung zu seinem Text stellt, sollte man Abstand nehmen.
Der Sinn von Distanz zum Text
Wer schreibt, ist nah bei seinem Text. – Wer den Text eines anderen liest, hat Distanz.
Leser eines Romans, schließlich soll der Roman gelesen werden, werden eine völlig andere Sicht auf unseren Text haben. Wir können unsere eigene Arbeit nur schwer distanziert oder objektiv betrachten, aber wir sollten uns um so viel inneren Abstand wie möglich bemühen. Nur dann können wir Fehler sehen und effektiv beheben.
Gemeint sind nicht nur Rechtschreib- oder Grammatikfehler. Die stören Leser auch, sehr sogar. Aber Fehler im Aufbau, die es schwierig machen, der Handlung zu folgen, unklare Perspektivwechsel, zu wenig oder viel an Hintergrundinformation, all das stört den Lesegenuss.
Autoren dürfen ihre Leser herausfordern. Täten sie das nicht, läsen alle Menschen auf dem Niveau von Erstklässlern. Aber Leser verdienen Respekt. Dazu gehört eine Handlung, der sie folgen können und Charaktere, deren Tun nachvollziehbar ist.
Distanz schaffen
Distanz schafft man sich am einfachsten durch die Zeit. Lassen Sie Ihr Manuskript wenigstens eine Woche lang liegen. Sehen Sie es nicht an. Versuchen Sie, eine Weile nicht daran zu denken.
Je länger Sie das Manuskript ruhen lassen, desto mehr Distanz entwickeln Sie zu Ihrem Text. Gleichzeitig aber arbeitet der Text in Ihnen weiter. Sie merken das, wenn Sie sich das Manuskript wieder vornehmen. Ich vergleiche diesen Prozess gern mit Hefeteig. So wie der Hefeteig durch das Gehen erst bereit wird zur Weiterverarbeitung, so können Sie an Ihrem gereiften Text besser arbeiten.
Den Aufbau überprüfen
Ehe Sie an einer Manuskriptdatei arbeiten, kopieren und speichern Sie den Ursprungstext. Auf diese Weise haben Sie Ihr Originalmanuskript immer zur Hand. Speichern Sie jeden Änderungsabschnitt. Machen Sie Kopien nach jedem Arbeitsgang, auch auf CDs, USB-Sticks oder externe Laufwerke. Ihr Text ist kostbar und sollte nicht durch technische Probleme verloren gehen.
An die Arbeit:
Sie haben vielleicht ein schriftliches Konzept oder einen Fahrplan der Handlungsabschnitte erstellt. Legen Sie den neben Ihren Text. Lesen Sie den Text zum Wiedererkennen. Sie werden merken, einiges haben Sie vergessen, anderes ist nach wie vor präsent.
Lesen Sie den Text so objektiv, wie es Ihnen möglich ist. Stellen Sie sich diese Fragen immer wieder, schreiben Sie sie in Rot auf einen extra Zettel, damit Sie sie immer sehen:
- Verstehen Sie den Handlungsaufbau?
- Können Sie den Wechsel von Handlungsabschnitten nachvollziehen?
- Erkennen Sie, warum die Charaktere so handeln, wie sie es tun?
- Folgen die Abschnitte logisch aufeinander?
Markieren Sie alles, was Ihnen auffällt in Ihrem Konzept oder Fahrplan. Kleinere Änderungen können Sie sofort am Text durchführen, aber denken Sie daran, dass Sie vielleicht noch größere Umstellungen vornehmen möchten, die diese Änderungen unnötig machen könnten. Versuchen Sie handschriftliche Notizen lesbar aufzuschreiben, sonst rätseln Sie nachher, was die seltsamen Zeichen auf dem Papier bedeuten könnten.
Möchten Sie größere Textmengen verschieben, notieren Sie sich genau, wo Sie den Text entfernt haben und wohin er soll. Kontrollieren Sie nach dem Verschieben
- ob der Text vollständig verschoben wurde,
- ob er von der richtigen Stelle entfernt wurde,
- ob er nun an der gewünschten Stelle steht.
Das klingt übertrieben, aber große Dokumente wie ein Romanmanuskript sind sehr unübersichtlich. Selbst wenn Sie das Manuskript in einzelnen Kapiteln gespeichert haben, überprüfen Sie, ob das Verschieben erfolgreich war. Überarbeiten Sie die Stellen, von denen Text entfernt wurde, bzw. an die Text hinzugefügt wurde. Achten Sie auf Überleitungen.
Rechtschreibung und Grammatik überprüfen
In einem separaten Arbeitsgang gehen Sie den Text auf Rechtschreib- und Grammatikfehler durch. Achten Sie bei diesem Durchgang auch auf die Wortwahl. Wiederholungen klingen unschön, fast immer lassen sie sich umgehen. Ein gutes Wörterbuch, ein Fremdwörterbuch und auch ein Thesaurus gehören auf jeden Schreibtisch. Selbstverständlich gibt es Rechtschreibprogramme ebenso wie Thesaurusprogramme. Die lasse ich immer erst zum Schluss über den Text laufen. Sie können das anders halten, bedenken Sie dabei immer:
Ein Programm findet nie alle Fehler. Manche Fehler kann es nicht erkennen! Gerade Thesaurusprogramme sind sehr problematisch.
Was aber ist ein Thesaurus? Es ist kein Dinosaurier sondern ein Wörterbuch, das Wörter nach ihrer Bedeutung gruppiert. So können Sie etwa unter „gehen“ Wörter wie schreiten, trippeln, staken, huschen finden. Manchmal bietet ein Thesaurus zusätzlich Wörter mit gegenteiliger Bedeutung an. Auch das ist sehr praktisch.
→Arbeiten Sie Ihr Manuskript mindestens zweimal durch. Speichern und kopieren Sie es dann und lassen es wieder liegen. Wiederholen Sie die Durchsicht noch mindestens einmal.
Dann ist es bereit für die Augen anderer – Ihrer Beta-Leser oder Kontrollleser.
Schreibwerkstatt Roman 1 – Ideen fangen und sammeln
Schreibwerkstatt Roman 2 – Woher die Ideen nehmen?
Schreibwerkstatt Roman 3 – Von der Idee zum Konzept
Schreibwerkstatt Roman 4 – Leben für die Charaktere
Schreibwerkstatt Roman 5 – Charaktere mit allen Sinnen erschaffen
Schreibwerkstatt Roman 6 – Textgerüste
Schreibwerkstatt Roman 7 – Zettelwirtschaft hilft manchmal denken
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