Lesestoff – „Familie. Ehre.“ auf dem Gabentisch

 Nichts gegen Socken und Krawatten, sogenannte „praktische“ Geschenke, oft erkennbar an der weichen Konsistenz von Stoff unter dem bunten Papier, sind viel besser als ihr Ruf. Auch Lesestoff ist beliebt.

Aber – Bücher zu verschenken ist ein Wagnis, das die Mutigen eingehen, weil sie wissen, das zwischen zwei Pappdeckeln oder verkleidet als Megabytes neue Welten zu entdecken sind. Diese Entdeckungen wollen mutige Schenker weitergeben.

Da mittlerweile Weihnachtsware die augenfälligsten Regale der Geschäfte erobert hat, wächst mit jedem Wocheneinkauf bei den meisten Menschen der Druck auf das Gewissen. Die Zeit für das Geschenkekaufen ist begrenzt.

In unserem Haushalt gelten Fahrradteile als gutes Begleitgeschenk. Die meisten Norddeutschen benötigen immer irgendetwas für ihr Fahrrad, Fahrradteile glänzen außerdem winterlich silbern und sind schick verpackt. Als Händler sitzt man an der Quelle.

Wenn demnächst mein viertes Buch erscheint, das zweite im Wieken-Verlag, stelle auch ich mir die Frage, ob mein eigenes Buch ein geeignetes Geschenk wäre.

Familie. Ehre. ist ein Winterbuch. Die Handlung ist größtenteils im Winter angesiedelt, in einem Winter, dessen eisige Kälte nur von der Kälte einiger Charaktere übertroffen wird. Als man die Leiche einer jungen Türkin findet, hat auch Wardenburg seinen Ehrenmord. Diesen zweifelhaften Ruhm bezahlt die Gemeinde bitter, und Christa Hemmen stellt sich die Frage, weshalb ihr früherer Klassenkamerad zum Mörder wurde. Im Privatleben steht sie zwischen ihrem besitzergreifenden Freund und dem jungen Muh Leo. Der soll, wie es bei Muh üblich ist, nach Liste verheiratet werden. Ausgerechnet an ihm wird die neue Regelung eingeführt, dass Geschlecht nicht als Ausschlusskriterium für eine Fürsorgebeziehung, das Muh-Wort für Ehe, gelten soll. Doch auch Muh haben eigene Vorlieben, und Leo tut sich schwer mit der Hinnahme. Auch Christa droht zu vergessen, was ihr wichtig ist. Nach einer demütigenden Erfahrung versteht sie plötzlich, dass Ehre eine Frage der Perspektive ist und Morde unerwartete Gründe haben können.

Was mich während des Schreibens beschäftigte, war einmal das Hinnehmen. Es ist ein Steckenpferd der Gemeinschaft Muh darauf hinzuweisen, dass Schlechtes wie Gutes hingenommen werden muss. Allerdings stellte sich mir die Frage, ob wir alle nicht viel zu sehr dazu neigen hinzunehmen, was uns als Wahrheit vorgehalten wird, selbst wenn wir uns keiner Ideologie unterworfen meinen. Die Medien bieten uns viele „Wahrheiten“. Wir müssen entscheiden, welche Wahrheit für uns gelten kann. Mit dieser Entscheidung müssen wir dann leben, auch mit den Entscheidungen unserer Mitmenschen. Da liegt Konfliktpotential, das Gewalt begünstigt. Zum anderen frage ich mich, was Freiheit ist. Christa Hemmen musste sich bereits in Sandras Schatten mit Freiheit und Verantwortung auseinandersetzen, in Familie. Ehre. wird sie erneut damit konfrontiert.

Familie. Ehre. ist wie Sandras Schatten ein Buch für Menschen, die einfachen Antworten nicht trauen. Auf dem Gabentisch solcher Leute ist es sicher gut aufgehoben.

 

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