Geschriebene Texte wollen gelesen werden.
Eigentlich ist das der Wunsch ihres Schöpfers. In einen Text fließen Gedanken und Gefühle, Vorstellungen und Ideen. Selbst wenn sie eine Art „Denkhilfe“ für den Autor sind, wenn er nur schreibt, um seine eigene Stellungnahme über die Welt besser zu verstehen, eine oft unspezifische Zielgruppe „anderer“ soll die Gedanken kennen und wertschätzen lernen.
Angst vor der Gewissheit: Leser lesen nicht nur
Jeder Autor ist ein Leser. Darum wissen Autoren, dass Leser nicht nur Wörter aufnehmen und Worte klingen lassen. Leser denken über das Gelesene nach. Alle. Selbst die, die von sich sagen, dass sie ungern lesen. Je wichtiger das Lesen für den Leser ist, desto mehr denkt er.
Wer denkt, übt Kritik. Kritik verletzt.
Die wenigsten Menschen wollen verletzt werden. Davor haben sie Angst. Also macht Kritik Angst.
Angst vor dem, was die Augen der anderen sehen
Fremde Augen finden leichter Fehler. Deshalb tauschen Schüler in der Schule ihre Übungsdiktate und gehen sie auf Rechtschreibfehler durch. Aus dem gleichen Grund lesen Lektorinnen Texte vor dem Druck Korrektur, beauftragen Autoren im Self-publishing freiberufliche Lektorinnen.
Aber bei Texten geht es um viel mehr als Rechtschreibung. Es geht um eben jene Gedanken, Vorstellungen, Ideen und Gefühle, die in die Texte geflossen sind und sowohl Form als auch Inhalt beeinflussen.
Leser bilden sich darüber eine Meinung. Sie erkennen Unzulänglichkeiten, die Autoren in ihrem Text und damit in ihrer Person vermuten. Die bloße Vorstellung macht Angst.
Sind Leser gefährlich?
Die Angst vor der Angst besiegen
Wer sich nicht mitteilt, wird nicht verstanden. Wer seine Texte niemandem zu lesen gibt, lernt nie die positive Seite der Kritik kennen.
Kritik sollte als Anregung verstanden werden, nicht bloß vom gegeißelten Autor, sondern auch vom Kritik übenden Leser. Oft beginnt für den Leser das bewusste Nachdenken über den Text erst mit der Aufforderung zur Kritik. Mit Kritik umzugehen fällt Autoren leichter, wenn es ihnen gelingt, den anderen Blickwinkel des Lesers anzunehmen. Denn Leser haben eine Distanz zum Text, die Autoren nur mühsam erreichen können.
Angst vor den Augen der Leser braucht niemand zu haben. Angst vor der Angst können denkende Wesen erkennen und besiegen.
Sind Leser gefährlich? Sind Leser die Feinde der Autoren, so wie manche Lehrer Schüler als das störende Element in der Schule erleben? Wovor haben Sie Angst?